Thomas Wildt, Priyanka Gulati, Nathalie Bergdoll (Moderation), Sebastian Schuster, Grigori Bokeria
Mit dem Thema "Zukunft & Industrie - Perspektiven am Standort Rhein-Sieg" fand der Wirtschaftstalk NRW, bereits seit 2012 ein erfolgreiches Format in Bonn, nun erstmals auch im Rhein-Sieg-Kreis statt. Das Stadtmuseum Siegburg bot dafür die historische Kulisse.
Und die Perspektiven im Rhein-Sieg-Kreis erweisen sich als durchaus zukunftsträchtig: Die Industrie der Region hat ihr umweltverschmutzendes Image längst hinter sich gelassen und hinter den Kulissen Digitalisierung und nachhaltiges Wirtschaften weit vorangetrieben.
"ESG" heißt das Stichwort - Environmental (Umweltverträgliche) und Social (Soziale) Governance (Unternehmensführung). Dies wird - so Grigori Bokeria, Partner / Head Industrial von Simon-Kucher & Partners - ein neuer Standard werden, der künftig auch geprüft werden wird, wie zur Zeit schon die Unternehmensbilanzen. Wer sich dem entzieht, wird es über kurz oder lang schwer haben am Markt.
Voraussetzung dafür ist natürlich, dass für die Einhaltung solch verantwortlicher Unternehmensführung messbare Kriterien bereitstehen. Ab 2025, so Thomas Wildt, CEO der Hennecke GROUP, müssen alle mittelständischen Unternehmen entsprechend berichten. Sein Unternehmen sieht er da gut aufgestellt: "Wir messen alles - ohne Daten können Sie nicht handeln und Prozesse verbessern!" So sei es gelungen, Prozesse zeitsparend zu automatisieren: "2019 haben wir für eine Dosiermaschine noch 6 - 8 Wochen gebraucht - heute brauchen wir 4 Tage, plus einen Tag fürs Testen!" Schnelligkeit sei das Gebot der Stunde, so der CEO: "Alle müssen schneller werden!".
Hemmschuh ist dabei leider nach wie vor oft die Bürokratie. Dem muss auch Sebastian Schuster, Landrat des Rhein-Sieg-Kreises, beipflichten: "Die Bürokratie bremst uns aus." Entscheidungsprozesse verkümmern auf der langen Bank - zum Beispiel sein ein interkommunales Gewerbeflächen-Konzept zwischen Kreis und Stadt Bonn ausgearbeitet, aber zur Frage der Aufteilung der Gewerbesteuer antworte Bonn einfach nicht.
Andererseits gibt es vielversprechende Gesprächsformate, die die lokale Industrie vernetzt - und die wiederum ist auch mit der Forschung im Gespräch. Priyanka Gulati, Produkt- & Marketing-Managerin bei Fraunhofer SCAI, berichtet von ihrer Arbeit mit digitalen Zwillingen realer Industrie-Objekte, die im virtuellen Modell analysiert und nachhaltig verbessert werden können. "Prozesse verbessern, Kosten reduzieren, nachhaltig werden" ist das Ziel, das durch Digitalisierung überhaupt erst ermöglicht wird. Fraunhofer-Mitarbeiter arbeiten zudem mit 6-Jahres-Verträgen in Forschungsprojekten, und die Idee sei, so Gulati, dass sie danach ihr erworbenes Know-How durchaus in die Industrie einbringen.
Denn der Standort bietet noch bezahlbaren Wohnraum, gute infrastrukturelle Anbindung und eine exzellente Hochschullandschaft. "Wir sind froh, noch viel im Rhein Sieg Kreis zu produzieren, weil wir uns wieder unabhängiger machen müssen von globalen Turbulenzen", so Thomas Wildt. "Local für Local - und trotzdem produzieren wir in der Welt." Wie das geht? Virtuelle Realität macht's möglich. Um heute eine Fertigungsstrecke in Korea zusammenzubauen und in Betrieb zu nehmen, müsse kein Ingenieur mehr extra dorthin fliegen - ein Lerneffekt der Corona-Zeit: "Vorher hätte ihnen jeder Ingenieur gesagt: Das geht nicht - wenn ich nicht vor Ort bin, funktioniert das nicht!"
Genau das aber, ein hoher Dgitalisierungs- und Automatisierungsgrad, mache deutsche Industriefertigung nach wie vor attraktiv, so Grigori Bokeria. Gerade bei Virtualisierung und internationaler Ausrichtung werde lokale Einbettung und Clusterbildung umso wichtiger - ein Ziel, das auch Landrat Schuster mit der Metropolregion Rheinland verfolgt: "Wir sind die wirtschaftsstärkste Metropolregion in Deutschland, 8 Millionen Menschen leben hier. Aber wir sind noch im Entstehen, entwickeln Kontakte."
Wohin also geht die Reise? Virtuelle Realität wird sicher noch stärker werden, digitale Simulationen und Emulationen, die schon jetzt, so Thomas Wildt, einen "gespenstischen Reifegrad" erlangt haben, werden an Bedeutung gewinnen, und sicher wird auch neben der reinen Fertigung der Service rund um die gefertigten Maschinen gefragter. Vor allem aber wird all das messbarer, wägbarer, bezifferbarer werden - und so, das ist die einhellige Erwartung, Verbesserung antreiben.
Doch vor allem, so Landrat Schuster abschließend, "müssen wir uns in Deutschland wieder vergegenwärtigen, wer unseren Wohlstand produziert." Wertschätzung für Unternehmertum, das hinter den Kulissen schon viel zukünftiger denkt, als sich so mancher von uns träumen lässt – dazu ermöglichte dieser erste Wirtschaftstalk Rhein-Sieg eindrucksvolle Einblicke.
Sebastian Schuster
Landrat des Rhein-Sieg-Kreises
Thomas Wildt
CEO der Hennecke GROUP
Grigori Bokeria
Partner / Head Industrial von Simon-Kucher & Partners
Priyanka Gulati
Produkt- & Marketing-Managerin bei Fraunhofer SCAI
Moderation:
Nathalie Bergdoll
Moderatorin, Schauspielerin, Sängerin, Redakteurin & Journalistin